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Lassen wir den Zauberwürfel des Tourismus umdrehen

magyarul - auf ungarisch

Leitfaden zu einer neuen Tourismuswelt in der Donau-Region

 

Ernő Rubik ist in der ungarischen Hauptstadt an der Donau geboren. Er hat vor knapp einem halben Jahrhundert den Zauberwürfel erfunden, der allerdings viel mehr als nur ein Spiel ist. Heute können wir sagen, dass es sich hierbei um ein Weltphänomen handelt, um einen Teil der allgemeinen Kultur. Es wurden davon mehr als eine Milliarde Stück verkauft und um noch einige mehr haben ihn in Händen gehalten bzw. drehen an ihm auch heute noch. Der Rubik-Würfel ist das allgemein bekannte Symbol für die Lösung von unmöglichen Problemen; dies kann in Ernő Rubiks eben erschienenen Buch Cubed (ungarisch: Mi kockánk) nachgelesen werden. Daraus erfahren wir, dass der Würfel, obwohl aus 3*3 Elementen bestehend, in trotzdem mehr als 43 Trillionen (Zahl aus 43 und 18 Nullen) Varianten gelöst werden kann, denn so viele Positionen hat ein Würfel. Der Würfel ist in drei Worten ausgedrückt die: Fundgrube unerschöpflicher Möglichkeiten. Die Zahl Drei selbst ist auch eine magische Zahl und ist für viele die Verkörperung von Körper, Seele und Geist. Oder wie man sagt: Aller guten Dinge sind drei. Omne trium perfektum – alles Dreifache ist vollkommen – besagt das lateinische Sprichwort. Übersetzt auf unsere engere Umgebung besteht der Würfel noch dazu aus 27 Elementen, aus genauso vielen, wie die Europäische Union. (Obwohl hier das mittlere Element nicht sichtbar ist, hat es bei der Betätigung, der Inganghaltung, des „Systems” eine wichtige Drehscheibenfunktion.) Die Analogie kann natürlich weiter fortgesetzt werden, abgängig davon, mit welchem Narrativ wir sie versehen. Genau deswegen ist der Würfel auch so sympathisch, denn viele verbinden damit ihre eigene persönliche Geschichte oder ihr eigenes persönliches Erlebnis bzw. können wir mit seiner Hilfe vieles erzählen, vorstellen oder verständlich machen.

 

Was hat das alles mit einem Blog über Touristik zu tun, der vor allem die österreichisch-ungarischen Beziehungen im Tourismus und die neue Tourismuswelt zum Thema hat? – könnte man nun meinen. Aber einerseits finde ich die Parallele treffend, dass ähnlich dem Rubik-Würfel auch der Tourismus ein Weltphänomen ist. Über den Tourismus und über unsere Reisen haben wir ja alle unsere eigenen Geschichten und Erlebnisse. Auch der Tourismus ist mehr als nur Spiel und Spaß, er wurde zum Teil unseres täglichen Lebens, denn für den Menschen des 21. Jahrhunderts wurde die Ortsveränderung, das Reisen, zum unabdingbaren Bestandteil seines Seins.

 

Gleichzeitig ist das Gleichgewicht verloren gegangen: In der jüngsten Vergangenheit wurden wir mit immer mehr Problemen konfrontiert, was am besten mit den Begriffen Overtourism, Umweltverschmutzung, Ausbeutung, Unzufriedenheit der lokalen Bevölkerung beschrieben werden kann. Als ob eine unsichtbare Hand den Rubik-Würfel des Welttourismus durcheinandergebracht hätte. Gleichzeitig sitzen wir wie ein verzweifeltes Kleinkind davor und versuchen, die uns schon bekannte Position, die eine von den 43 Trillionen Möglichkeiten zu finden. Welche ist für die Stakeholder im Tourismus die optimale Lösung? Darauf suchen wir schon lange eine Lösung. Wir glauben daran, dass es mehrere verschiedene gute Antworten und Lösungen gibt. Auch die am Eingangsbild ersichtliche Position ist eine Art Lösungsvariante. Eine Variante der ungarischen Art, die im europäischen Rahmen die regionale Zusammenarbeit in den Vordergrund stellt. Entlang regionalen Interessen, aber im Großmachtstatus – so wie auch schon Graf Gyula Andrássy als Außenminister der Monarchie die im Zusammenhalt bestehenden Chancen formulierte.

 

Der durch die Coronakrise hervorgerufene Stillstand hat uns jetzt Zeit gegeben nachzudenken, um die besten Lösungen für den Neubeginn zu finden. Es ist an der Zeit, unsere schlechten Gewohnheiten hinter uns zu lassen und nur das in die Post-Corona-Welt mitzunehmen, was wir für gut halten und wodurch wir eine bessere und gerechtere, nachhaltigere, umweltfreundliche Zukunft schaffen können – und die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen.

 

In dieser Blogreihe der GD Consulting habe auch ich selbst in den vergangenen Jahren zahlreiche Artikel und Einträge verfasst, die sich mit den möglichen Drehbüchern beschäftigten, um aus der durch die Coronakrise verursachten Krise wieder herauszukommen. Wir sind der Überzeugung, dass der menschliche Verstand in der Lage sein wird, den Ausweg aus den komplizierten Problemen zu entdecken, und dass wir den Schlüssel zur Lösung des Rätsels, den Schlüssel zu einer glücklicheren Welt finden. Auf den kreativen Geist konnte man sich schon immer verlassen. Die Grundlagen für ein glückzentriertes Tourismusmanagement wurden außerdem schon vor Langem gelegt, nur haben wir auf diesen Grundlagen leider nicht aufgebaut. Es gibt Grund zur Zuversicht, dass Österreich und Ungarn gleichermaßen jeweils über eine Lebensqualität zentrierte Entwicklungsstrategie für den Tourismus verfügen, zu deren Durchsetzung mehr Motivation und Entschlossenheit ersichtlich ist als früher. Darüber haben wir HIER geschrieben. Es ist an der Zeit, ein-, zweimal am Würfel zu drehen, damit sich die auf den einzelnen Seiten schön ausgeprägten Formen und Vorstellungen zusammenfügen.

 

Anhand der Best-Practice-Beispiele Österreichs konnten wir feststellen, dass die Zukunft eines erfolgreichen Tourismusmanagements durch die Harmonisierung und Optimierung der Interessen dreier Akteure bestimmt wird. Das Ziel ist die Abstimmung der Interessen der lokalen Bevölkerung, der im Tourismus Arbeitenden und last but not least der Touristen. Kommt Ihnen das Dreiergespann bekannt vor? Wie oft müssen wir an unserem imaginären Würfel wohl noch drehen, damit die Theorie auch in die Praxis umgesetzt wird? Die Visitor Economy Strategie des Wiener Tourismusverbandes kann in diesem Bereich als Beispiel dienen. HIER können Sie mehr darüber lesen.

 

In der Welt des Post-Corona-Tourismus stellen wir die Hypothese auf, dass Nachhaltigkeit, Gesundheitsbewusstsein, Authentizität und Lokalität Begriffe sind, die sicherlich aufgewertet werden. In unserer engeren und weiteren Umgebung, also in einem Radius von etwa 400-500 Kilometer, wird die Zahl der touristischen Interaktionen steigen. Die Donauregion scheint im Großen und Ganzen eine solche vom touristischen Standpunkt wünschenswerte und einsehbare, begehbare Region zu sein. Es ist vonnöten, einen harmonischen Erlebnisraum zu gestalten, wobei es zielführend ist, zuerst in unserer unmittelbaren Umgebung zu beginnen und die Best-Practice-Beispiele sukzessive auf die erweiterte Umgebung auszudehnen. So sind wir zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Donauregion eine optimale Kultur- und Wirtschaftszone darstellt, um aus ihr eine touristische Musterregion (Qualitätsdestination) zu machen. An dieser Stelle haben wir argumentiert, dass die Gelegenheit zur Förderung der Kooperation unter den mitteleuropäischen Ländern noch nie so groß war, um eine vom touristischen Standpunkt aus einheitliche Musterregion zu schaffen (Ungarn + Österreich + weitere Nachbarstaaten, mit etwas Fokus auf die Visegrád-Staaten). Die eine Triebfeder dieses Prozesses ist die Digitalisierung, die anderen werden die für die Post-Corona-Zeit bezeichnenden neuen Narrative und Signalwörter sein. Eine wissenschaftliche Vertiefung zu diesem Thema finden Sie HIER.

 

In unserer vorigen Artikelserie haben wir nacheinander die Erfolgsfaktoren besprochen, die in der Post-Corona-Welt des Tourismus unverzichtbar sind. Das einzigartige Angebot Österreichs und Ungarns im Gesundheitstourismus, weiters das ausgezeichnete Ranking des Travel & Tourism Competitiveness Index im Bereich der besten Hygienepraxis kann die Triebfeder für eine engere Zusammenarbeit sein. Ein gesunder Mix aus dem seit Jahrzehnten ausgegorenen und wie geschmiert laufenden österreichischen touristischen Institutionssystem und der findigen ungarischen Denkweise verspricht ebenfalls ein siegreiches Cocktailrezept zu sein. Vergessen wir nicht, dass der in Budapest und Wien gleichermaßen tätige, bekannte und anerkannte Ignaz Semmelweis der Großmeister der Hygiene war. Eine mit althergebrachten Gewohnheiten und Traditionen verquickte Innovation kann Wunder bewirken. So wie das von Albert Szent-Györgyi entdeckte Vitamin C unseren Organismus vitalisiert, genauso können wir um uns herum touristische Unternehmen beleben, genauso können wir das Vertrauen in sicheres Reisen wieder herstellen bzw. ist auf dieser Basis in der Perspektive von ein paar Jahren der qualitative Erlebnisraum im Herzen Europas realisierbar. Sogar eine gemeinsame Kampagne integrierter Regionen kann dazu ins Leben gerufen werden. Im Rahmen der Visegrád-Staaten hat es auch schon früher kleinere Versuche gegeben, es würde sich auszahlen, die Best-Practice- Beispiele auszuweiten und fortzuführen.

 

Die durch das Coronavirus verursachte Krise, die wiederum einen Stillstand zur Folge hatte, bedeutet gleichzeitig auch einen Neuanfang. Es ist an der Zeit, den falsch geknöpften Mantel erneut zu knöpfen, so wie dazu schon „der Weise Ungarns”, Ferenc Deák, einstens geraten hat. Das Erfolgsrezept besteht häufig daraus, nichts anzunehmen, wie es ist, sondern alles in Frage zu stellen. Wir glauben daran, dass es im Tourismus der Zukunft um Vernetzung geht. Das Zeitalter des im engen Sinne interpretierten nationalstaatlichen Mindsets ist auch auf diesem Gebiet abgelaufen. So wie die Tourismusämter der Nachbarstaaten, das Management einzelner Städte auch schon jetzt zusammenarbeiten, so ist es an der Zeit, auch Ungarn an den Blutkreislauf anzuschließen. Durch den Anstoß grenz- und destinationsübergreifender, gemeinsamer Kampagnen mit benachbarten Staaten können Reisende z. B. auf einer Win-Win-Basis dazu ermuntert und motiviert werden, einander zu entdecken. Warum sollten Wien, Bratislava, Prag und Budapest nicht kooperieren können, um sich gemeinsam z. B. für die Veranstaltung einer Konferenz zu bewerben, so wie das Wien und Barcelona schon seit Langem vorleben? Warum sollte es nicht möglich sein, zwischen Wien, Bratislava und Budapest oder zwischen den Regionen der EU-Kulturhauptstädte bzw. den Kandidaten dafür (Graz, Linz, Veszprém, Győr, Debrecen, Timișoara etc.) eine Business+Leisure Städtecard ins Leben zu rufen? Ein gemeinsames Opernabonnement für die Opernhäuser in Wien und Budapest, das schon 150 Jahre funktioniert hat? Die Kooperationen entlang der Donau in Form von rail+ship+bike birgt auch in diesem Bereich noch zahlreiche Möglichkeiten. Drehen wir den Rubik-Würfel guten Mutes weiter. Schritt für Schritt könnte so ein einheitlicher touristischer Erlebnisraum entlang der Donau entstehen. Vom gesamtheitlichen Ansatz aus sind wir nicht Konkurrenten, sondern Verbündete. Auch beim Rubik-Würfel sind im Spiel alle 27 Elemente gleichermaßen erforderlich, sämtliche Elemente hängen voneinander ab, sind miteinander im Einklang; so entsteht auf Grundlage des Zusammenspiels die Zusammenarbeit und zum Schluss auf Grundlage des Ergebnisses die Freude. Eine Einheit trotz Bewegungen und ständiger Veränderungen.

 

Im Fokus eines Tourismus der Zukunft muss allerdings der Mensch stehen, denn „Die Menschen, nicht die Häuser machen die Stadt.”, wie es auch schon Perikles gehalten hat. Neben dem Homo turisticus ist aber die Bedienung der Bedürfnisse der Einheimischen mindestens von genauso großer Bedeutung. Der Denkansatz „Was kann die Stadt für den Touristen machen?” muss durch „Was kann der Tourist für die Stadt, für die Destination machen?”, abgelöst werden. Am Beispiel des Linz Tourismus haben wir HIER detaillierter über die Kriterien eines menschenzentrierten Tourismus geschrieben. Nachdem die Stadt Linz innerhalb Österreichs als Versuchslabor und Flaggschiff des erfolgreichen Tourismusmanagement gilt, lohnt es sich auch die in der Stadt der Zukunft realisierten Best-Practices zu studieren, bevor wir zu viel am Würfel drehen.

 

Der Tourismus des 21. Jahrhunderts muss der dritten Entwicklungsphase der Konsumgesellschaft angepasst werden. In der ersten Phase lag der Fokus am Produktvertrieb, worauf dann die breite Palette des Dienstleistungsvertriebes aufbaute. Heutzutage sind neben den Waren und Dienstleistungen nicht nur die Erlebnisse, sondern auch die Geschichten dazu zu verkaufen bzw. muss durch diese motiviert und inspiriert werden. So wie der ursprüngliche Name des Rubik-Würfels Zauberwürfel war, der den Spieler in sich aufsaugt und verzaubert, genauso müssen die Touristen der Zukunft mit Geschichten, die ihr Interesse wecken, verzaubert werden.

 

Der österreichische Volkswirt Schumpeter definierte den Begriff der „schöpferischen Zerstörung”. Versuchen wir auch in schwierigen Situationen die Chancen zu sehen. Die Coronakrise hat im Subsystem des Tourismus wahrlich eine Zerstörung angerichtet: in den Bedingungen, im Vertrauen und im Institutionssystem gleichermaßen. Schaffen wir die Möglichkeiten dafür, dass die Zerstörung zur schöpferischen Kraft werden kann, wir imstande sind, die früheren Fehler auszumerzen und wir entlang eines Mindsets, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt, die vor unseren Augen zerfallende Welt neu zu errichten. Wir werden auf unserem Würfel sicherlich eine Maserung finden, die treffender und interessanter ist als die in der Ausgangsposition.

 

Die Coronakrise hat uns gelehrt, dass nicht der Erfolg die Quelle des Glücks ist, sondern dass es sich genau umgekehrt verhält. Das Glück ist der Schlüssel zum Erfolg. Achten wir nicht darauf, ob das Gras des Nachbarn grüner ist, sondern setzen wir alles daran, dass auch wir einen schönen Blumengarten haben. Beides zusammen ist noch attraktiver. Albert Schweitzer meinte einmal über den Erfolg, dass dieser dann eintritt, wenn wir das erreichen, was wir schon immer wollten. In diesem Sinne denken wir, dass ein Neubeginn zahllose Chancen für uns bereithält, die auch eine Verantwortung darstellen. Von unserem Standpunkt aus stehen die Strategien und Narrative zur Verfügung, sie müssen nur richtig angewendet, zusammengesetzt werden. Es liegt an uns, ob es gelingt, uns mit einem fliegenden Start einen Situationsvorteil zu verschaffen, dass der Würfel so fällt, wie es den ungarischen, österreichischen und auch den Interessen derer, die in der Donauregion leben, bestmöglich entspricht.

 

Wenn wir uns geschickt anstellen, sind wir zum Erfolg verdammt. Bauen wir den auseinandergefallenen Rubik-Würfel wieder zusammen, verzaubern wir zusammen die Welt. Kommen wir so in der neuen Tourismuswelt an.

 

Balázs Kovács / GD Consulting

 

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Titelfoto: CPI Hotel Budapest, Varro Design 2020, Projekt Mérleg utca

Aufmacherfoto: GD Consulting – Varianten zur regionalen Kooperation entlang der Donau. Designed by ÁlmosBenedekKovács

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