Tourismus neu denken – mit Herz, Verstand und Verantwortung
Vor Kurzem hatte ich in Begleitung von Freunden die Gelegenheit, den weltbekannten Spitzenkoch und Gastgeber Heinz Reitbauer zu besuchen und mich mit ihm auszutauschen. Von ihm hörte ich eine wunderschöne, nachdenklich stimmende Analogie. In seinen Worten waren die Tische in seinem Restaurant in der heutigen, aus den Fugen geratenen und risikobehafteten Welt noch nie so wichtig wie jetzt. Die Tische sind nämlich „heilige Orte“ der menschlichen Begegnung – dort werden Meinungen ausgetauscht, Gespräche geführt, Pläne geschmiedet, Probleme gelöst – und so wird die Welt – oft unsichtbar – ein Stück besser.
Es braucht tiefgründige Gespräche und echte Begegnungen. Sein Drei-Sterne-Restaurant ist lediglich ein Alibi für diese Treffen – im Zentrum steht der menschliche Austausch. Diese enge menschliche Verbindung prägt auch seine Beziehungen zu Lieferanten und Partnern. Vielleicht ist das das Geheimnis seines weltweiten Erfolgs? – mehr dazu hier...
Die Hauptbotschaft unseres Gesprächs war für mich, dass Gastronomie, Gastfreundschaft und letztlich der Tourismus von Begegnungen leben. Gute Gastronomie, gute Gastfreundschaft und guter Tourismus schaffen hochwertige, erlebnisreiche Begegnungen. Für uns, die im Tourismus tätig sind, ist es unsere Hauptaufgabe, genau solche wertvollen Zeiten und Begegnungen zu ermöglichen – und den Menschen zu zeigen, dass es gut tut, Gutes zu tun. Eine der edelsten Aufgaben ist es, anderen durch unsere Arbeit Freude zu bereiten oder sie auf diesen Weg zu führen. Diese Haltung entspricht meiner Sichtweise und meinem Beitrag zur Gestaltung einer neuen Tourismuswelt – eines „Neutourismus“, in dem es nicht um „Sightseeing“, sondern um „Lifeseeing“ geht, in dem Erlebnisräume entstehen, die echte Begegnungen ermöglichen.
Die letzten Jahre haben uns gelehrt, dass der Tourismus nicht in der alten Form weiterbestehen kann. Was lange als selbstverständlich galt – grenzenloses Reisen, ständiges Wachstum, massenhafter Erlebniskonsum – ist heute mit Risiken behaftet. Die Welt hat eine neue Richtung eingeschlagen – und der Tourismus muss sich neu ausrichten. Ich nenne diesen Richtungswechsel Neutourismus: eine menschen- und zukunftsorientierte Besuchswirtschaft, die aus den Fehlern der Vergangenheit lernt und neue Fragen zu stellen wagt.
Das Ziel ist nicht weniger als die Schaffung eines Tourismus, der wirklich Mehrwert bringt – für die Lebensqualität der Einheimischen, für das Erleben der Gäste und für ein nachhaltiges Wirtschaften der Anbieter. Es geht nicht darum, die Zahl der Übernachtungen zu steigern, sondern um sinnvolle Begegnungen, gegenseitige Bereicherung und um die Verbesserung der Lebensqualität vor Ort. In diesem Denken ist die Stadt oder die Landschaft nicht bloß touristische Attraktion, sondern ein Erlebnisraum, in dem man gut leben, arbeiten, entdecken und verweilen kann.
Die gute Nachricht: Die Lösungen sind keine Zukunftsmusik. Es gibt bereits funktionierende Beispiele – in Wien, Linz, in der gesamten Donauregion und in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, – über die wir regelmäßig in unserem Podcast Dunakavicsok berichten, der die Praxis des neuen Tourismus beleuchtet. Gute Beispiele müssen wir nicht in der Ferne suchen: So verstehe ich auch den Erfolg des Kulturhauptstadtjahres Veszprém–Balaton, dessen positive Wirkung auch zwei Jahre später noch spürbar ist.
In den letzten Jahren haben wir zahlreiche Best Practices gesammelt, die zeigen, wie man gleichzeitig gastfreundlich, umweltschonend und menschlich Maßstäbe setzend Tourismus gestalten kann. Diese müssen nicht kopiert, aber sollten als Inspiration an den eigenen Kontext angepasst werden. Die 27 Thesen des neuen Tourismus sind wie ein Rubik-Würfel, der Orientierung in dieser komplexen Welt gibt. Hinter jedem einzelnen Grundsatz steht der Anspruch, dass Tourismus kein Selbstzweck sein darf, sondern ein Mittel – im Dienst des Gemeinwohls, des Umweltschutzes und der Stärkung zwischenmenschlicher Beziehungen. Digitale Werkzeuge, künstliche Intelligenz und vernetzte Arbeitsweisen eröffnen neue Wege – wenn wir sie richtig einsetzen.
Die Zukunft ist nicht vorherzusagen – sie ist zu gestalten. Neuer Tourismus ist kein Modewort, sondern eine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Lassen wir uns auf Veränderungen ein. Wollen wir gemeinsam etwas Besseres schaffen. Und denken wir gemeinsam darüber nach, wie aus einem Besuch ein echtes Erlebnis wird, aus einem Erlebnis eine Beziehung – und aus einer Beziehung ein verantwortungsvoll funktionierendes, nachhaltiges System. „More fun, with less stuff“ – so lautet unser Motto auf Neudeutsch.
Gerade der Sommer – diese „magische fünfte Jahreszeit“, die Zeit der Erholung und der tiefgründigen Begegnungen – bietet die Gelegenheit, gemeinsam die falsch geknöpften Knöpfe des alten Systems neu zu schließen – und das Tourismussystem neu zu träumen, um Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern einen Sommer voller Begegnungen, Freude und glücklicher Momente!
Dipl.oec. Balázs Kovács (MBA, MSc)
Managing Partner von GD Consulting
Mitglied des Global Sustainable Tourism Council (GSTC)
Co-Redakteur des Tourismus-Podcasts Dunakavicsok
EU Climate Pact Botschafter für Österreich und Ungarn

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